Mitarbeiter arbeiten sehr gern und leisten besonders viel, wenn sie sich mit dem Unternehmen identifizieren. Das ist zumindest die gängige These, folglich wünschen sich heute viele Unternehmen eine hohe Mitarbeiteridentifikation. Wenn man sich aber klar macht, was mit Mitarbeitern passiert, die sich mit Ihrem Unternehmen identifizieren, ist das definitiv kein anzustrebender Zustand und langfristig sogar kontraproduktiv. Um zu verstehen, warum das so ist, muss man sich zunächst den Unterschied zwischen den oft vermischten Begriffen Identität und Identifikation klar machen.
Identität besteht aus der Summe aller gemachten Erfahrungen seit Existenz eines Menschen und setzt sich aus unterschiedlichen Teilen zusammen. Sie besteht zunächst aus Identitäts-Anteilen, die völlig authentisch und gesund sind. Dann gibt es noch Trauma-Anteile,Verletzungen die meist in negativen Situationen entstanden sind – wir fühlten uns nicht geliebt, nicht gewollt oder ungeschützt – und die wir bewusst oder unbewusst ausblenden.
Weil unsere Psyche erneute Verletzungen unserer Identität vermeiden will, schafft sie Überlebens-Anteile, die immer dann aktiv werden, wenn unsere Identitäts-Anteile Gefahr laufen, erneut traumatisiert zu werden. Dann startet sie ein Programm, das sich schützend vor die Identität schiebt. Als Ergebnis solcher Prozesse sehen oder inszenieren wir uns zum Beispiel als Opfer anderer Umstände, nur um nicht selbst die Schuld für unser Handeln tragen zu müssen.
Identifikation hingegen, erfolgt als Gleichsetzung mit etwas, das völlig getrennt vom Ich existiert. Man setzt sich zum Beispiel mit einem Staat, Fußballverein oder Kleinkindern sich mit der eigenen Mutter gleich. Deswegen kann die Identifikation auch nur auf der Ebene dieser Überlebens-Anteile stattfinden. Das ermöglicht, dass eine Erfahrung vermeintlich nicht die eigene Identität betrifft, sondern quasi stellvertretend für etwas im Außen gemacht werden kann.
Wenn wir uns mit etwas identifizieren, dann stärken wir jene Überlebens-Anteile, die uns von den authentischen Identitäts-Anteilen entfernen, damit wir funktionieren und gut dastehen. Dies führt allerdings zu einer immer weiter fortschreitenden Abspaltung von der eigenen Identität. Zudem müssen Überlebens-Anteile permanent unsere Existenz bewachen und kontrollieren.
In Corporate Identity Prozessen wird einem Mitarbeiter ein Bild gegeben, das er sich als eigenes Bild seiner Identität überstülpen und mindestens während seiner Arbeitszeit leben sollte. Der Mitarbeiter hat sich also mit etwas gleichzusetzen, das außerhalb und getrennt von ihm existiert. Die proklamierte Work-Life-Balance ist ein unsäglicher Ausdruck der Entwicklung, in der Mitarbeiter dazu aufgefordert werden, sich in verschiedene Persönlichkeiten aufzuspalten: eine arbeitende und eine lebende.
Wenn sich eine Person mit etwas gleichsetzt, das völlig getrennt von ihr existiert – in diesem Fall einem Unternehmen, führt das unweigerlich zu inneren Konflikten. Der besonders identifizierte Mitarbeiter befindet sich in dem Zustand völliger Dependenz, die sich durch die Gleichung „Ich = Unternehmen“ ausdrücken lässt. Außerhalb des Unternehmens wird er womöglich anderen Zielen – wie glückliche Familie und Partnerschaft – folgen wollen. Da er dadurch die Ziele des Unternehmens, mit dem er identifiziert ist gefährdet, befindet er sich in einem permanenten und die Grundfeste erschütternden Stress.
Verändert sich ein Unternehmen, besteht die große Gefahr, dass seine Mitarbeiter in einen Zustand der gefühlten Selbstaufgabe und damit in ein Trauma versetzt werden. Mitarbeiter werden gezwungen, entweder um das alte Bild des Unternehmens, mit dem er sich gleichgesetzt hat, zu kämpfen und damit rückschrittlich und blockierend für das Unternehmen zu agieren oder depressiv zu resignieren. Beides sind keine guten Szenarien.
Mitarbeiter, die sich zwar mit dem Unternehmen identifiziert haben, aber ein hohes Maß an Independenz besitzen, kommen in Veränderungsprozessen ebenfalls in einen schweren Konflikt: Sie haben meist ein sehr stabiles Wertesystem, das sie sich durch keine Identifizierungsmaßnahme nehmen lassen. Wenn die Werte des Unternehmens vor, während oder nach einem Veränderungsprozess nicht klar kommuniziert werden, oder eine Abweichung von Unternehmenswerten offenbar als inakzeptabel und nicht als bereichernd angesehen, leben sie latent in einem Werte-Konflikt mit dem Unternehmen. Oft suchen solche Mitarbeiter bei Veränderungen als erste einen neuen Arbeitgeber.
In der heutigen, so genannten VUKA-Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität), steigt die Veränderungsgeschwindigkeit und neue Marktteilnehmer erscheinen. Diese Entwicklung macht alte Geschäftsmodelle viel schneller als früher völlig überflüssig. Angetrieben von einer rasanten technischen Entwicklung und steigender Rechenleistung entsteht eine Welt, die zusehends komplexer wird und allen Beteiligten gefahrvoller erscheint. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, benötigen zukunftsorientierte Unternehmen eine klare Position und Ausrichtung, die sich nicht an Geschäftsmodellen orientiert, sondern an höheren Werten und Prinzipien.
Organische Anpassung eines Unternehmen, das selber seine Identität lebt, ist der Schlüssel, den Herausforderungen erfolgreich zu begegnen. Jetzt sind Unternehmen gefragt, die ihre Stärken und blinden Flecken kennen und aus Fehlern und Begegnungen lernen, um sich weiterzuentwickeln. Optimalerweise gibt es Begegnungen mit Mitarbeitern, die ihre Identität leben und somit authentische und bindende Begegnungen mit Kunden und Partnern schaffen. Solche Unternehmen geben Führungskräften eine permanent überprüfbare Referenz für ihr eigenes Handeln. Sicherheit in der eigenen Ausrichtung, an der sich zu führende Mitarbeiter wiederum sicher ausrichten können, ist der einzige permanente Stützpfeiler, um der VUKA-Welt mit Begeisterung als Mitarbeiter eines Unternehmens und nicht als Einzelkämpfer in einer feindlichen Welt begegnen zu können.
In seiner Identität unterstützt, verbunden in enger Zugehörigkeit zu einem Unternehmen, das sich fortlaufend dem Markt und der Gesellschaft anpasst, fühlen sich solche Mitarbeiter Veränderung nicht mehr schmerzhaft ausgeliefert, sondern sehen diese als befruchtenden Motor der persönlichen Entwicklung. Erst durch die grundsätzliche Orientierung des Unternehmens an einer Vision und an Markt und Kunden sowie flache Hierarchien ermöglichen die erfolgreiche Teilnahme an der digitalisierten Gesellschaft. So können Unternehmen den aktuellen Herausforderungen der Digitalisierung und neuen Marktteilnehmern ruhig, zielgerichtet und erfolgreich begegnen.
Ermöglichen Sie Ihren Mitarbeitern, sich damit an Ihnen zu orientieren und sich selber weiter zu entwickeln. Unterstützen Sie sie dabei, indem Sie sie auffordern sich ebenfalls diese Fragen zu stellen und ehrlich zu beantworten. Lassen Sie sich von unabhängigen Trainern begleiten, die zwischen Identität und Identifizierung unterscheiden können und lassen Sie dadurch eine Kultur entstehen, die dem Wir Ihres Unternehmens entspricht.
Laden Sie ein, nicht zwischen Arbeits- und Berufsleben zu unterscheiden, sondern offen anzusprechen, wie sich beides positiv und negativ beeinflusst. Menschen, deren Fehler offen angesprochen und angenommen werden, blühen auf. Ich nenne das das Barca-Prinzip. Viele Jahre hat der FC Barcelona den Weltfussball mit einer Mannschaft dominiert, die körperlich jeder anderen Fußballmannschaft unterlegen war, weil nicht versucht wurde, diesen „Makel“ auszugleichen, sondern permanent Lösungswege gesucht wurden, genau den Makel als Winner einzusetzen.
Wenn Sie diesen Weg erfolgreich beschreiten, werden Sie als Unternehmer Ihre Mitarbeiter weniger kontrollieren müssen und profitieren von wandlungsfähigen Mitarbeitern und weniger Fluktuation im Unternehmen.